In der Schneekugel

Rehlein hat den Abwasch fertig und kommt aus der Küche gesprungen. Ich lege das Amtsblatt beiseite, jetzt machen wir's uns gemütlich. Und sprechen mireinander - das nennt man häusliche Kommunikation. Ich sage: "Rehlein, wie wär's, wenn wir dieses Jahr zu Weihnachten mal eine schöne Schneekugel basteln?" - "Was?", sie tut bass erstaunt. - "Na, eine Schneekugel", sag' ich, "etwas größer als handlich, wir stellen sie hier auf das Beistelltischchen, dann bekommt unser Besuch große, leuchtende Augen." Und ich mache ihr noch die großen Augen der Besucher vor, da sagt sie: "Dich besucht doch keiner, du hast doch alle Besucher vergrault." - Das ist bitter, es entbehrt nicht einer gewissen Wahrheit. "Vielleicht wäre so eine Schneekugel attraktiv, sie könnte unsere alen Freunde und Bekannte wieder anlocken, 'Kommt, wir gehen zu den Rehlings, die haben eine Schneekugel!', das wären magische Momente, so eine Kugel verzaubert." - "Du spinnst!", war alles, das ich in dem Moment zu hören bekam. Also faltete ich das Amtsblatt wieder auseinander. Es steht ja nur Quatsch drin, deshalb war ich froh, als Rehlein bald den Faden wieder aufnahm. "Was soll denn rein in deine Schneekugel?" - "Unsere Schneekugel", korrigierte ich mit der gebotenen Strengeund zog unseren Skizze-Block von unter dem Tischchen hervor. "Na, der ganze christliche Kosmos eben, wie er sich uns zu Weihnachten offenbart, Glanz, Gloria, In Excelsis, es kommt ein Schiff geladen bis an den höchsten Bord und so." "Na, dann mal los!", war ihre ermunternde Antwort. Das liebe ich an Rehlein, diese plötzliche Schub-Umkehr mitten im Höhenflug, eben noch höchst abweisend, und gleich darauf höchst ermunternd. Darauf wenigstens kann man sich verlassen. - "Schneekugel ist Nahwelt", sprach ich einleitend, "alles muss anheimelnd wirken, die Krippe, der Stall, umstehendes Getier, ein Schiff voll von Gütern, das wäre die weihnachtliche Mitte." Und zeichnete mitten auf den Block eine flüchtige, ja, eine mehr als flüchtige Figurengruppe, aus der zur näheren Kennung ein Ziegenhorn ragte, eins, mehr bekam ich in dem Überschwang nicht hin. Noch dazu ein Containerschiff von Rund um die Welt. "Das passt!", rief ich, erfreut über diese Inspiration. Und jetzt sprang auch Rehlein bei, sie war mitgerissen. - "Hinter dem Stall ein Asylantenheim", schlug sie vor, "das ist realistisch, es muss ja nicht schön sein, herausragen, vielleicht ein paar Lego-Bauklötzchen als Wohncontainer, ein Zaun drumherum, dann kann es jeder Betrachter gleich richtig auffassen." "Au ja! Und vor dem Zaun die Gruppe aufgebrachter Demonstranten. Die heute einfach dazugehört. Mit Transparenten und Streichhölzern." - Und sie: "Ein Feuerwehrauto mit ausgefahrener Rettungsleiter." - Und ich: "Dahinter die Gruppe Omas gegen Rechts, das gruppiert sich praktisch von alleine, das versteht sich fast von selbst." "Und drumherum der bedrohliche Horizont.", sprach Rehlein. - "Der äußerst bedrohliche Horizont. Blutdruck. Leidensdruck.", sagte ich, und wir schüttelten uns vor lachen auf der Couch und herzten uns. Das sind gesellige Momente. "Und jetzt die Krönung", sagte ich. Und schlug mit dem Stift einen Kreis um die Skizze. "Es ist eine Schneekugel, da muss bei aller gebotenen Rührung dann auch etwas rieseln, das Schnee bedeutet, muss ja kein Neuschnee sein." - "Wir nehmen die Käseglocke aus der Küche, die können wir drüberstülpen." - Also, das Wort 'stülpen' gefiel mir in diesem Moment besonders gut, und wie sie die Lippen über das Wort stülpte, es hatte etwas Schützendes. - "Ja, wir bringen eine Rieselvorrichtung an, einen Ignition Device, wenn jemand die Käseglocke berührt, rieseln Flocken herab." - "Haferflocken vielleicht?" - "Ja, wir könnten sie weiß färben wie Schnee." - "Nee, weiß kommt mir nicht in die Kugel", sprach Rehlein, "es muss rot sein, blutrot." Und da hat mich dann doch ein Schaudern ergriffen.

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