Einmal in Belgorod
Da bin ich in eine Kirche gegangen. Es war wie in einer Galerie. Die Wände voller Bilder. Große Bilder, kleinere. Ich schlenderte herum, sah mir eins nach dem anderen an. Ein bißchen eintönig, fand ich, nur Voll-Ansichten, das Gesicht, kein Profil dabei, keine Landschaft, nicht mal ein Stillleben mit Birne, Fasan, Blumenvase. Nur Ikonen. Und alle ganz ernst ikonographiert, kein Grienen, Grinsen, keine feine Ironie um Mund und Nasenspitze. O Welt der Gläubigen, was spukst du da im Halbdunkel!
Sie standen davor, manche flüsterten sich eins oder ließen sich von der Ikone was flüsternund schlugen ein schnelles Kreuz dazu. Wie bei uns daheim in Altötting, wenn es "Maria hilf!" heißt. Oder Katharina (Kathi), Georg (Schorsch), Barbara (Babs), alle Vierzehn Nothelfer, so auch hier, aber mehr, hier bei den Russisch-Orthodoxen. Sie nennen sich "Die Rechtgläubigen", auch "Die Altgläubigen". So unterscheiden sie sich von den 'Zivilitzkis', den Städtern. Mit denen sie zwar zusammenleben, aber nicht zeitgleich. Sie ticken anders.
Russland tickt anders. Nicht richtig, möchte man meinen und wähnt sich in der einzig wahren Echtzeit. Die Altgläubigen spüren: Unter den Zivilitzkis geht es freimütiger zu, Stadtluft macht Stadtlust und so... doch das wollen sie nicht, sie wollen nicht stadtlustig sein. Stadtlust macht Tatendurst, Tatendurst stört das Behagen. So einfach ist das.
Und einfach nicht richtig, möchte man meinen.
In der Stadtluft korrodieren die Ikonen, ihre Gesichtszüge sind andere, die Plätze ihrer Anbetung auch. Der Trend geht in Richtung Arena, Fußball-Arena, Event-Arena, Tennis-Arena. Sport-Ikonen, Pop-Ikonen, Models, boreale Dschungelcamper, Fernsehduellanten. Für einige wenige sogar Dissens-Ikonen. Die erlangen im Westeuropa dann hohe Aufmerksamkeitsquoten. Das ist alles eine Anbetung wert. In der Ukraine wie in Deutschland hat man sogar mal die Klitschko Bros. angebetet. Faustschlägertypen. Was jetzt Klitschko Ventura heißt, eine Firma mit abenteuerlicher Firmen-Philosophie. Das soll noch einer verstehen. Das kann nur einer verstehen: der Boxer selber.
Alles ein und derselbe fromme Tineff.
Da kam der Pope hinter dem Pfeiler hervor, plötzlich stand er vor mir wie die Vorsehung und sah aus wie Ra-Ra-Rasputin, Lover of the Russian Queen. Ich fuhr aus meiner tiefgreifenden Kunstbetrachtung hoch ins Reale des orthodoxen Kirchenschiffes. Der Pope fragte mich nach Woher und Was (Nathalie traduisait). Und wünschte gutes Gelingen, das gefiel mir, obwohl ich dabei an Flöhe denken musste, die aus seinem elendslangen Rauschebart in meine schlüpfrige Unterwäsche springen könnten.
Und dann bin ich wieder rausgegangen auf die Straße, unter das Marktvolk in der Stadt. Mütterchen Russland mit dem Kopftuch und der Schürze. Väterchen Putin mit den neuen Derschinskis und den Cyberspacekriegern. Ikonoplastische Rauschebärte die einen, die anderen im Karatekittel, wieder andere im Pack, im Rudel, im Wolfsfell. Despotische Vielfalt ist auch Vielfalt.
Russland hat den Despoten, auf immer, auf ewig. China hat den paramount Leader, immer & ewig, und noch drei Tage. Afghanistan hat Stammesfürsten, Warlordschaften, es hat Paschtunen, Kriegeer für 'Ghairat', 'Nang' und 'Badal'. Stolz, Ehre, Vergeltung. Es hat Mudschaheddin, Mohn, Opium, Heroin, hat Taliban, al-Qaida. Welch eine Vielfalt! Da konnte niemals und kann kein zarisitscher, britischer, sowjetischer, amerikanischer imerialismus und Werte-Zynismus irgend etwas dran rütteln. Die Ukraine hat die Zerissenheit von Völkern und Völkchen, die sich auf immer und ewig nicht über den Weg trauen werden. Und da kann auch kein neudeutsch-westeuropäisches Werte-Odeur gegen anstänkern. Dieses niedliche Polit-Flakon aus Brüsseler Spitzen.
Man sollte dahingehend (und wer, frage ich, geht nicht dahin), statt auf das Gutmenschentum und auf die Gutwerte zu drängen, ein altmodisches Riechsalz nehmen oder eine Prise
Verschnupftseinstobak. Und es dabei bewenden lassen. Dann kann man sich zuletzt, wenn nicht gut, so doch etwas besser riechen.
Und jetzt Abba: Ra-Ra-Rasputin...
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