Die Provokanten von Maastricht - Eine Life-Übertragung

"Wir wollen hier in Maastricht keine alten Nazis!" - Das Flugblatt richtete sich gegen den General Graf von Kielmannsegg, Oberbefehlshaber der Supreme Headquarters Allied Forces Europe. Mehr als bloß ein General: ein Edelmann, ein Paramount Leader, Supergeneral - ein Generalissimo! In meinen Augen ein gemütlicher Trottel, etwas rundlich in seinem vollen Wichs. Er konnte majestätisch aus der Power-Limousine steigen. Ich mochte ihn. So wie man eine Obszönität mag, wenn man sie sieht. Jeder General im vollen Wichs ist eine Obszönität, doch ohne Obszönitäten macht das blitzeblank gewienerte moralische Leben keinen Sinn. Das Nato-Hauptquartier war verlegt, ich mit ihm. Mitten rein in eine Verlegenheit. Das schöne Leben in Fontainebleau vorbei. Frankreich wollte sein eigenes Ding drehen, die Force de Frappe. Mit herrlichen Militärparaden zum Nationalfeiertag auf den elysischen Feldern. Da wäre ich gerne mitmarschiert, hätte mich sogar in die Fremdenlegion eingereiht. Ein Söldner, was wollte ich mehr sein? Und jetzt Maastricht - eine Blamage! Langwelige Stadt. Vor dem Kasernentor keine Nutten, keine Autohändler mit Simca, Peugeot, Renault. Vor dem Tor Provos mit Flugblättern. Alte Nazis, nie wieder. Es giftete mich an. Ich wusste garnicht, was das ist, ein Provo. Altgedienter Nazi, ja, das kannte ich, das war Gäng & Gebe in Deutschland, die alten Gangster gaben sich die Hand zur Seilschaft. Aber Provos, was bitteschön war das? Weil es so langweilig war in Maastricht, ließ ich mich provozieren. Sie setzten ein Provo-Meisje auf mich an. Mit Klockjes an de Beene. Kleine Maulschelle, klingeling. Wir trafen uns in einer Kneipe. In einem Stadtviertel, dessen Betreten uns gemeinen Soldaten vom Standortkommandeur bereits verboten war. Wegen der Spionagegefahr. Besaß ich doch die gemeinste aller Nato-Geheimhaltungsstufen: Das Confidential. Es bedeutete mir - nichts. Dat Meisje nahm seinen Auftrag ernst. Es schnuckiputzte sich an mich heran. Ich spürte, sie nahm mich nicht für voll. Ich nahm mich auch nicht für voll. War noch nicht mal volljährig. Die Kneipe ebenfalls nicht voll. Der Tisch in der Nische, schummrig die Beleuchtung. Und ich gestimmt für die Romanze. Aber auch nicht voll, in Maastricht tranken sie dieses fürchterliche Wachholdergesöff, dazu eine Bierplärre namens Heinerchen. Ich sehnte mich zurück nach Frankreich. Le Ricard. Das Gepresste. Zisch. Im Handumdrehen hatte sie alles aus mir rausgepresst, was ich geheimnisvollerweise wissen durfte. Viel war's nicht. Danach war Schluss. Ich ging nochmal hin, in das verbotene Viertel, strich um die Kneipe herum, leicht verkatert. Sie war nicht da. Aber da waren die Feldjäger, zwei Mann hoch in einem Jeep. Die nahmen mich da weg, einfach so. Später wurde ich zu einer Disziplinarstrafe verdonnert. Die Strafe bestand im Aussprechen der Verdonnerung durch den Kommandeur. Kein Gasselaufen oder so. Ich musste unter dem Stahlhelm vor seinem Schreibtisch strammstehen. Der Kerl erhob sich nicht mal, nur seine Stimme. Es war zur Karnevalszeit, ich muss recht lustig ausgesehen haben mit diese Helm auf dem Kopf, wie ich da stand und das zerknirschte Gesicht aufsetzte, das bei einer Verdonnerung erwartet wird. "Gefreiter, Sie werden hiermit disziplinarisch bestraft." Herrischer Ton. Dennoch schien es auch der Kommandeur nicht so schwer zu nehmen. Die Nato bestand nun mal aus Stoffeln wie ich einer war. Den General Graf von Kielmannsegg aber habe ich dreßig Jahre später im Fernsehen wiedergesehen. Er saß da wie eine Heulsuse und jammerte über die Provokationen von Maastricht: "Ich bin doch kein alter Nazi, bloß weil ich im Führerhauptquartier war."

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