Einmal in Belgorod
Ich sage nicht "...und nie wieder!"
Ich sage nie "Nie wieder!". Ist mir zu blöd, dieses Niewiedersagen.
Wir fuhren von Moskau nach Kursk. Nathalie am Fenster gegenüber. Die Orte, die Namen.
Hügeliges Land. Der Große Vaterländische Krieg. Die Panzerschlacht. Größte Panzerschlacht aller Zeiten. Der Zug tackert durch die Geschichte. Die Geschichte wiederholt sich. Mal als Drama, mal als Komödie. Heute als Seifenoper in tausendundeiner endlosen Folge. Alles derselbe Schwellenschlag.
Frühmorgens kamen wir in Belgorod an. Der Bahnhof leer. Nathalies Mann holte jns ab. Ein klappriges Gefährt, auf dem Rücksitz Werkzeug, ich quetschte mich mit meiner Tasche dazu.
Nathalie zeigte mir mein Zimmer. Ein Hochhaus, 8. Stock. Gegenüber andere Hochhäuser. Unten ein Hof. Männer in Tarnzeug stehen um ein klappriges Auto herum und haben Zeit. Sie lassen eine Flasche kreisen. Sprudelwasser, so wie's aussieht. Zwischen den Häusern ein Blick nach Osten, in die steppe, Richtung Woronesch.
Auf der Fensterbank zehn Zentimeter hoch Taubenscheiße. Auf der Pritsche die Matratze durchgelegen. Klo, Dusche, Heizung. Ein Gemeinschaftsraum auf dem Flur. Zehn, zwölf weitere Zimmer. Kochnische, Kühlschrank.
Wir gehen rüber zur Universität der Konsumgenossenschaften. Da soll ich ein paar Wochen gastieren. Deutsch als Fremdsprache. Anfänger, Fortgeschrittene. Eine Woche Lehrerfortbildung. Ein Vortrag über Schulze-Delitzsch an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Ich bin aufgeregt.
Wir gehen rein, Nathalie führt mich zum Sicherheitsschalter, stellt mich vor. Drei Männer in Tarnzeug. Pullover, Kappen, Pistolen. Ich stecke ihnen eine Packung Marlboro zu. Damit bin ich ihr Herzbube. Sie werden mich behüten.
Breite Treppen rauf. Die Chefin. Die Fakultätsleiterin. Seminarräume, Lehrerzimmer, Kantine. Die Formalitäten. Ich bekomme eine Konsumgenossenschaftsmitgliedskarte, damit kann ich im Genossenschaftsladen einkaufen. Ich bekomme Rubel.
Und gehe gleich rüber. Es ist Samstag. Ich will mich eindecken, einschließen und meine Vorbereitungen treffen. Stadtbesichtigung erst nächste Woche.
Und da im Genossenschaftsladen gehen mir die Augen auf. Da gibt's Borscht in Dosen. Her damit! Da gibt's russisches Brot. Her damit! Da gibt's Kaviar in beachtlichen Dosen. Da gibt es Wodka, ganz klar. Türkisches, lettisches Bier. Den Sekt lasse ich stehen. Meine Rubel sind futsch. Montag gibt's frische. Her, her!
Das Wochenende in der düsteren Kammer ist gerettet. Es wird konsumiert. Ich bereite den Unterricht vor. Nebenher läuft der Fernseher. Ich verstehe die Sendungen, doch ich verstehe die Sprache nicht. Also drehe ich den Ton ab.
*
(Genug. Fortsetzung folgt.)
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